Von einem „Grenzfall“ in mehrerlei Hinsicht erzählt Merle Kröger in ihrem jüngsten Kriminalroman.
Es geht um das angeblich so einige Europa und diejenigen Europäer, die keiner so recht haben mag: Sinti und Roma.
Mit einfachen Antworten gibt sich der Krimi nicht zufrieden.
Von einem „Grenzfall“ in mehrerlei Hinsicht erzählt Merle Kröger in ihrem jüngsten Kriminalroman. Es geht um das angeblich so einige Europa und diejenigen Europäer, die keiner so recht haben mag. Die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Osten, die sich zum Beispiel über die deutsch-polnische Grenze zu schleichen versuchen, um das Essen für ihre Familien zu verdienen – und weil sie dort, wo sie leben, nicht gerade wohlgelitten sind. Gerade wieder findet sich der Umgang mit Sinti und Roma in den Schlagzeilen: Ein Denkmal wurde eingeweiht zum Gedenken an die Toten, aber die Lebenden möchte man bitte nicht im Land haben. Merle Kröger hat einen komplexen, vielschichtigen Roman über diesen Umgang mit einer Volksgruppe geschrieben.
1992. Ein paar Männer lassen sich über die Grenze schleusen, zwei von ihnen werden erschossen. Von Jägern, die erstens unachtsam, zweitens nicht mehr nüchtern sind. Aber nüchtern genug, um sich schnell davonzumachen. Es wird zudem schlampig ermittelt, vielleicht sogar absichtlich. Jedenfalls kommt es nicht zu einer Verurteilung. Und die Familien der Männer werden sowieso im Glauben gelassen, dass Grenzpolizisten geschossen haben.
2012 hat Merle Krögers fiktiver Tausendsassa Mattie Junghans gerade eine neue Stelle angetreten, als sie in die alte Geschichte reingezogen wird. Eine Tochter sucht nach den Tätern, eine Familie verbittet sich jede Einmischung, Neonazis schüren die Fremdenfeindlichkeit an – aber da kennen sie Mattie Junghans schlecht. Freilich begeht Kröger nicht den Fehler, sie zu Superwoman zu machen: Mattie geht in die Irre, fürchtet sich (auch vor den dunklen Wohnwagen-Bewohnern), könnte so manches klüger anfangen. Wie fest Vorurteile über „Zigeuner“ in den Herzen sitzen, das zeigt Merle Kröger auch an ihrer Hauptfigur.
Kröger bügelt nichts glatt
Die 1967 in Plön geborene Autorin und Dokumentarfilmerin nimmt keine Abkürzungen. Sie macht die Dinge nicht verständlicher, indem sie die Widersprüche einebnet oder die Handlungsfäden glattbügelt. Das macht „Grenzfall“ manchmal ziemlich unübersichtlich, auch wenn Datums- und Ortsangaben als Kapitelüberschriften die Orientierung erleichtern. Niemand ist vollkommen bei Merle Kröger, es gibt kein Schwarz und kein Weiß in dieser Welt, nur die vielen Zwischentöne. Keineswegs verklärt sie die Sinti und Roma und ihr Leben, höchstens ein kleines bisschen den dort üblichen Familienzusammenhalt. Aber auch dessen Schattenseiten zeigt sie auf.
Auch der NSU und die hässlichen Ermittlungspannen werden schon erwähnt in „Grenzfall“ – Merle Kröger ist wie immer ganz auf der Höhe der Zeit. Dass sie sich dabei nicht mit einfachen Antworten zufrieden gibt, ist keine geringe Leistung.